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Sonntag, 9. November 2014

Helga König: Gedanken zum 9. November 1989

 #Karl Holfeld; "Baut Brücken"
Der 9. November 1989 war für mich ein Tag großer Freude. Endlich waren die Menschen in Ostdeutschland nicht mehr eingesperrt. Endlich konnten sie von der Stasi und deren IMs nicht mehr bespitzelt werden. Endlich konnten sie sich frei bewegen. Endlich war das große Gefängnis inmitten Europas nicht mehr existent. 

Schon in meiner frühen Kindheit empfand ich die DDR als einen Schreckensort und hatte keine Zweifel daran, dass dort große Not herrschte und zwar äußere wie innere gleichermaßen, vielleicht nicht bei allen, so doch bei den vielen durch die Stasi gepeinigten Bürger des Landes. 

Meine Großmütter packten, solange sie lebten, immerfort Lebensmittelpäckchen für Verwandte, die es durch die Vertreibung aus Ostpreußen und Böhmen nach Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen verschlagen hatte und die keine Chance mehr hatten, weiter in den Westen zu gelangen, weil die innerdeutsche Grenze ihnen diese Möglichkeit versagte. Unter diesen Verwandten befand sich auch mein Großonkel Ernst, der aufgrund seiner freiheitlichen Gesinnung bei den Nazis  ein Jahr im KZ verbringen musste. Freiheit erfuhr dieser sozial-liberal denkende Ostpreuße nur als junger Mann in der Weimarer Republik. Ein Leben voller Tragik.

Blickte ich in meinen Schulatlas und sah diese Grenze überfiel mich stets sofort Trauer, weil ich wusste, dass "drüben" die Bürger ähnlich wie zuvor die Bewohner  Nazi-Deutschlands  von Psychopathen mit Blockwartmentalität dauerüberwacht und dauerdrangsaliert wurden und keine Möglichkeit hatten, sich von ihren Peinigern zu befreien. 

Geboren am 17. Juni, war mir von Kindesbeinen an bewusst, dass mein Geburtstag zugleich der Wunschtag aller freiheitlich gesinnten Deutschen war, der Tag, wo man den Fall der Mauer gemeinsam herbeisehnte. Ich wünschte es auch stets innigst und je mehr ich über diesen Unrechtsstaat erfuhr, dessen Schergen flüchtende Bürger an der verminten "Demarkationslinie" wie Hasen abknallten, umso mehr wünschte ich, dass das Treiben der "Nomenklatura" und ihrer Schergen dort endlich ein Ende hatte.

Im Alter von 17 Jahren war ich erstmals in Berlin, fuhr - ohne Wissen meiner Klassenlehrerin in den Osten der Stadt, weil ich mit eigenen Augen sehen wollte wie die Menschen dort lebten. Die wenigen Stunden, die ich mich  in Ost-Berlin aufhielt, genügten mir, um in meinem Urteil bestärkt zu sein: Die DDR war ein großes Gefängnis und die Menschen dort erschreckend freudlos. Kein Wunder, es gab außer Grau und Braun keine Farben, nichts was erheiterte. Dieser Eindruck drängte sich mir jedenfalls an jenem sonnigen Septembertag auf, wo über Ostberlin eine merkwürdige Dunstglocke hing und es intensiv nach Mottenkugeln roch. Was wurde dort eingemottet, damit es immer wieder nach Bedarf unbeschädigt hervorgeholt werden konnte? Das Reaktionäre und Ewig-Gestrige?

Im Studium lernte ich später einen Kommilitonen kennen, der gerade aus der DDR geflüchtet war und zwar im Kofferraum des Fahrzeugs eines Fluchthelfers. Der junge Mann berichtete mir an einem Nachmittag ausführlich von den Zuständen im Osten Mitte der 1970er Jahre. Freunde von ihm saßen im Gefängnis, weil man sie auf der Flucht aus diesem Terrorstaat erwischt hatte. Der junge Mann wirkte viel älter als wir alle, war depressiv, weil er stets an seine Freunde dachte und Angst hatte, dass man sie folterte. Das war  für die Stasi  eine Methode, um Geständnisse zu erpressen. Was aus dem schwermütigen Kommilitonen geworden ist,  weiß ich nicht.  Geblieben  ist er ganz gewiss ein freiheitsliebender Mensch.

Die Stasi betrieb einen Verwaltungsapparat aus bis zu 91.015 hauptamtlichen Mitarbeitern. Dabei handelte es sich um Menschen, die offiziell bei der Stasi arbeiteten. Zudem steuerte die Stasi ein weitreichendes Netzwerk aus zuletzt 189.000 inoffiziellen Mitarbeitern, abgekürzt IM. Diese Spitzel und Zuträger informierten die Stasi:  "Arbeiter schrieben Berichte über ihre Kollegen, Jugendliche über ihre Mitschüler, Soldaten über ihre Kameraden. Doch die Stasi drängte sich so auch in engste Beziehungen. Freunde verrieten Freunde, manchmal bespitzelten sogar Familienmitglieder einander“, erfährt man im Internet vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. 

Bei ihm liest man weiter: "Um in das Visier der Stasi zu geraten, musste ein Bürger nicht einmal offen Widerstand gegen den Staat leisten. Es genügte, nicht dem gesellschaftlichen Durchschnitt zu entsprechen. Lange Haare, Musik aus dem Westen hören, das galt als verdächtig. Jeder nicht staatliche Zusammenschluss von Menschen wurde mit Argwohn betrachtet – egal ob Sportclub oder Jugendangebote der Kirchen. Wenn die Stasi gegen einen Bürger vorging, bediente sie sich einer Reihe von Maßnahmen. Die Stasi durchsuchte heimlich Wohnungen und hörte sie ab, auch im Bad und im Schlafzimmer. Sie schüchterte ihre Opfer durch ständige Beschattung ein. Die Stasi konnte einen ihr verdächtigen Bürger auch einfach verhaften und nach eigenem Ermessen in einem ihrer Untersuchungsgefängnisse verhören und unter Druck setzen“. Mehr dazu: http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Bildung/Einstieg/_node.html

Viele werden den Film "Das Leben der anderen" kennen, der diesen Wahnsinn an einem Einzelbeispiel hervorragend veranschaulicht. Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte dies nachholen. Der Film  ist sehr erkenntnisfördernd

Was ist aus den rund 300 000 Menschen geworden, die alle "Freiheits-Verdächtigen" im Land drangsaliert haben? Haben sie ihre Blockwartmentalität ablegen können, sind sie geläutert oder leben sie diese perverse Zwangshaftigkeit heute an anderen Orten aus? 

Mein Respekt gilt den mutigen Menschen, die sich gegen den Unrechtsstaat widersetzten und denen es zu verdanken ist, dass dieser Schandfleck - die innerdeutsche Grenze- inmitten Europas beseitigt wurde.

Die Sentenz "Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut"  hinterließ  uns der athenische Politiker Perikles (um 500 - 429 v. Chr.)

Die  freiheitsbewegten Menschen   des 9. November 1989 kannten  dieses Geheimnis, waren unendlich mutig und befreiten sich von den Psychopathen mit Blockwartmentalität,  die sie über Jahrzehnte drangsaliert und eingesperrt hatten.  Ich werde nicht aufhören, diese mutigen Menschen zu bewundern. Sie und ihr Tun zu feiern, ist unsere Pflicht und Kür am heutigen Tag. 

Helga König


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