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Sonntag, 10. Juli 2016

Helga König: Sonntagskolumne, 10.7.2016

Der Philosoph Prof. Dr. Wilhelm Schmid twitterte gestern nachstehende Sentenz: "Mit jedem Gespräch, auch mit jedem Tweet, durchbricht ein Mensch die Umgrenzung, in der er gewöhnlich lebt. Offenbar großes Bedürfnis danach."

Stimmt das? 

Wer an einem Gespräch mit einer oder mehreren Personen interessiert ist, möchte Gedanken austauschen. Dazu sind Gesprächspartner notwendig, die man im trauten Umfeld ebenso finden kann, wie anderen Orts, sofern man nicht isoliert von seinen Mitmenschen lebt und erkennbar bereit ist, sprachlich mehr als bloße Statements abzugeben.

Wer verbale Kommunikation anstrebt, sei es,  um zu plaudern, zu diskutieren, zu debattieren oder auch bloß aus reiner Freude an Konversation, akzeptiert stillschweigend, dass es im Gespräch einen Sprecher und einen oder mehrere Zuhörer gibt, deren Rollen wechseln. Er möchte keine Monologe halten, sondern sich den Gedanken anderer öffnen und damit wie auch immer gestaltete persönliche Umgrenzungen aufheben. Das geschieht, indem man aus dem eigenen Gedankenraum heraustritt. 

Immer dann, wenn man bereit ist, sich im Gespräch auf Gedanken von Gesprächspartnern einzulassen oder eigene Gedanken für Dritte nachvollziehbar neu zu überdenken und dabei sogar von alten Denkmustern abrückt, bewegt man sich - für Dritte erkennbar - von seinem eigenen Tellerrand weg und überschreitet auf diese Weise Grenzen, hin zu neuen Denkmöglichkeiten. 

Extravertierte Menschen haben  diesbezüglich selten Probleme. Introvertierte Zeitgenossen hingegen sind oft zögerlich, obschon der Wunsch nach Gedankenaustausch groß sein kann und sie sich im Grunde gerne der als lästig empfundenen Umgrenzung entledigen möchten. Hier geht es darum, Ängstlichkeit und Verunsicherungen zu überwinden und aufgeschlossener zu werden. 

Anders hingegen sieht das bei notorischen Rechthabern aus. Sie wollen das Visier nicht hochklappen, wollen keine Schritte auf andere zugehen, eigene Denkmuster nicht zur Disposition stellen, um dadurch aufs unbedingte Rechthaben zu verzichten.  Diese Spezies möchte im eigenen Denkraum verharren, aus diesem heraus ihr Umfeld mit kränkenden Wortsalven attackieren und zwar in der Absicht, die eigenen Gedanken als allgemeines Denkmuss durchzusetzen. Der Attackierte soll geplättet werden.

Marie Freifreifrau von Ebner-Eschenbach definierte einst "Gespräch ist gegenseitig distanzierte Berührung." Diese Definition bringt es auf den Punkt und erklärt zudem die Sehnsucht nach Gesprächen. Wer, wenn auch distanziert, berühren möchte, muss sich aus seiner Umgrenzung herausbewegen, denn nur so ist Berührung möglich. Wer berührt wird, spürt seine Seele, spürt, dass er lebt. Wer unberührt in seinem Gedankenkäfig verharrt, ahnt, dass er in gewisser Weise bereits tot ist, erfährt, was Kommuniktionsverweigerung mit Menschen macht und wünscht sich Erlösung. Selbst notorische Rechthaber sehnen sich vermutlich danach. Diese können sie aber nur finden, wenn sie von ihrer sie verkrampfenden Position abrücken. 

Nicht nur mit jedem Gespräch, sondern auch mit jedem Tweet durchbricht ein Mensch, die Umgrenzung in der er lebt, schreibt Wilhelm Schmid. 

Das trifft meines Erachtens zu, wenn wir einen Tweet als Kommunikationsangebot begreifen, d. h. bereit sind, uns auf einen Meinungsaustausch über den  getwitterten Bild- oder Gedankengegenstand einzulassen. 

Schon ein Beherzen und Retweeten bedeutet,  auf distanzierte Tuchfühlung mit demjenigen gegangen zu sein, der den Tweet gepostet hat. 

Die Botschaften lautet dann "Sehe ich auch so" bzw. "Verlinke ich weiter, damit andere Deine Botschaft auch lesen können."  Damit sind Sender und Empfänger aus ihren Gedankenräumen für kurze Zeit herausgetreten und haben ihrem Bedürfnis nach  zwischenmenschlicher Nähe für einen Moment Rechnung getragen.

Wird begonnen auf einen Tweet verbal zu reagieren und zwar nicht,  indem Statements abgegeben werden, sondern indem sich ein freundliches Gespräch zwischen Sender und einem oder mehreren Empfängern entwickelt, wird für die Dauer des Dialogs das Gefühl überwunden, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein und in der Hölle gedanklicher Einsamkeit leben zu müssen. 

Das ist bei allen Gesprächen so, die wir führen, auch wenn wir uns dies nicht immer bewusst machen. 

Wer begriffen hat, dass uns Gespräche gedankliche Freiheit schenken, wird sie immer wieder suchen, sich danach sehnen und sie nicht mutwillig zerstören durch halsstarrige Rechthaberei.

Die sozialen Netzwerke tragen dem Wunsch vieler Menschen, gedankliche Nähe herzustellen, Rechnung. Hier können die Dialogfähigkeiten spielend geschult werden, die uns kommunikativer und entspannter aufeinander zugehen lassen. 

Das meiste Negative in dieser Welt ist zurückzuführen auf Kommunikationsblockaden. Das sollte zu denken geben. Geben wir also unserem Bedürfnis nach bereichernden Gesprächen nach und tragen so unseren Teil zur Befriedung der Welt bei.

Helga König

1 Kommentar:

  1. "Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, geht nicht verloren."
    Albert Schweitzer

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