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Sonntag, 27. Mai 2018

Helga König, Sonntagskolumne, 27.5.2018

Der Autor Raimund Schöll, dessen hervorragende Textsammlung "Alltagsfluchten" ich auf  "Buch, Kultur und Lifestyle" vor einigen Monaten rezensiert habe,  postete heute Morgen eine Sentenz von Hans Magnus Enzensberger. Sie lautet: 

"Alle reden von Kommunikation, aber die wenigsten haben sich etwas mitzuteilen." 

Diesen Satz zum Gegenstand der heutigen Kolumne zu machen, halte ich für interessant.  

Doch zuvor vielleicht  noch eine Anmerkung zum  Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger: Er hat  die deutsche Literatur seit den 1960er Jahren mitgeprägt. Bekannt wurde er durch seine zeitkritische Lyrik und seine politischen sowie medienkritischen Essays. Obige Sentenz stammt aus einem medienkritischen Interview, wie ich mich zwischenzeitlich kundig gemacht habe, welches Enzensberger 1994 dem Stern gab. (Besagtes Interview möchte ich allerdings heute nicht zum Thema machen, sondern den Satz kontextfrei reflektieren.)

Haben sich tatsächlich die wenigsten etwas mitzuteilen oder ist die Kultur des  Sichmitteilens - im Sinne von Miteinanderreden - durch den auf Egomanie gebürsteten Zeitgeist im Laufe der letzten Jahrzehnte fast vollständig ausgehöhlt worden? 

Wie oft erlebt man Tischrunden, wo die Menschen zwar reden aber dies keineswegs miteinander tun. Es werden Statements abgegeben oder es wird über Dritte hergezogen oder es wird sich schamlos selbst dargestellt.

Ein ernst gemeintes "Wie geht es Dir?" oder "Was denkst Du gerade?" oder auch ein "Womit beschäftigst Du Dich derzeit?", "Welche Probleme musst Du lösen ?", "Spürst Du bei allem noch die Leichtigkeit des Seins?", "Wonach sehnst Du Dich?" hört man selten. 

Weit mehr erlebt man, dass das Tun des anderen, speziell wenn es erfolgreich ist, vollkommen im Gespräch ausgeblendet wird und Probleme Dritter ohnehin tabu sind, es sei denn man kann darüber lästern. Zynismus ist ein schlimmer Gesprächskiller. Aus vielen Gesten oder lautem Schweigen tönt  nicht selten ein "Belästige mich nicht, es sei denn es bringt mir einen Nutzen."

Ein gutes Gespräch, ein Dialog eben, ist nur möglich, wenn man Mitgefühl besitzt und deshalb stets auch mit dem Herzen zuhört. Wir alle sind keine Roboter, haben deshalb gute und schlechte Tagesformen, sollten von daher auch nachsichtig sein mit anderen und mit uns selbst in dieser auf Perfektionismus und Selbstoptimierung ausgerichteten Welt, deren Ziel nicht das Interesse am Du, sondern dessen Ausbeutung ist.  Eine Kommunikation solcher Art, gilt es stets zu entlarven und sich  ihr zu entziehen, denn sie führt zu nichts Gutem.

Den höflichen Postboten aus Rumänien oder Kenia oder die nette koreanische Frau an der Kasse im Supermarkt oder den freundlichen Wurstverkäufer aus Sibirien zu fragen, was sie dazu veranlasst hat, ihr Land zu verlassen und wie sie sich jetzt fühlen, ist oft sehr aufschlussreich. Man hört nicht selten, wie wetterwendisch das Glück sein kann und lernt auf diese Weise Demut. 

Da wurde aus einer ukrainischen Architektin eine Haushilfe, aus einem sibirischen Philosophen ein Wurstverkäufer und aus einem kenianischen Lehrer ein Postbote in einem fremden Land, um so zunächst einmal ihre Familien zu ernähren. Gerne ist keiner gegangen, überall stand ein Zwang dahinter. Oft müssen all diese Menschen nun unsäglichen Hochmut  ertragen, von jenen, denen Mitgefühl fremd ist und die ihren Dünkel täglich mit Fleiß ausleben. 

Blickt man in die Augen des jungen Rumänen, der die Post-Pakete ausliefert, sieht man seine sprühende Intelligenz, redet man mit ihm, erfährt man, dass er eine gute Ausbildung hat und hier in Deutschland für eine gewisse Zeit arbeitet, um zuhause seine Träume verwirklichen zu können. Hakt man weiter nach, erfährt man, dass diese Menschen in ihrer Freizeit oft sehr gute Bücher lesen und ein Familienleben führen, das viele Wohlstandsbürger bei uns nicht mehr kennen, weil der Erwerb von und das Protzen mit Statussymbolen ihnen weit mehr bedeutet als der Dialog mit Menschen über das, was ein sinnstiftendes Leben wirklich ausmacht. 

Mir sind  nicht wenige Menschen in meiner Vergangenheit  begegnet, die sich nur über ihr Haben definierten, die Schönheiten von Landschaften und der Natur nichts abgewinnen konnten und  sich für andere Menschen nicht interessierten, sondern deren einziges Ziel der Erwerb von Luxusgegenständen war. Dabei wurde über die Arbeit und das Können, der Personen, die solche Gegenstände herstellten, niemals geredet. Die Wertschätzung des Du erwies sich als Fehlanzeige. 

Weißt Du wie viel Können in guten Manufakturarbeiten steckt? Weißt Du wie viel Herzblut ein Autor in sein Werk vergießt? Was gibt Dir das Recht darüber herzuziehen, nur weil Du übellaunig bist und die Möglichkeit hast, es zu tun? Was gibt Dir das Recht, Dich über andere und ihr Können zu erhöhen? Dein Geldbeutel? Dein grenzenloses Ego? Was glaubst Du, wer Du bist?

Wir leben in einer Kommunikationsgesellschaft und sollten uns in diese positiv einbringen, indem wir das Miteinander kultivieren und uns für andere wirklich zu interessieren beginnen, anstelle auf Munitionssuche beim Gegenüber zu gehen, indem wir dessen Suppe nach einem möglichen  Haar  unter die Lupe nehmen, um ihn dann dann verbal zu attackieren. Groß ist nicht der, der andere klein zu machen sucht, sondern groß ist der, der andere ohne Vorurteil achtet.

Helga König

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