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Sonntag, 23. Oktober 2016

Helga König - Sonntagskolumne, 23.10.2016

 Helga König
Die Frankfurter Buchmesse 2016- "Dies ist,  was wir teilen"

Seit gut 30 Jahren besuche ich regelmäßig die Frankfurter Buchmesse - zumeist an zwei, manchmal auch an drei Tagen - und versuche dort anhand der Bücher sowie der Menschen,  dem Zeitgeist nachzuspüren. 

Bislang sah man an den Händlertagen auf der Messe stets überdurchschnittlich viele, nicht mehr ganz so junge Damen und Herren aus aller Welt, zumeist in schwarzes Tuch gekleidet, Bücher bestellen. Der stationäre Buchhandel tätigte seine Einkäufe und hielt die gestressten Verlagsleute auf Trab. Selbst renommierte Autoren zeigten sich nicht nur bei den Lesungen auf dem Messegelände, sondern auch in den Messehallen auffallend häufig und sprachen angeregt mit ihren Kollegen, den Verlagsleuten, den Händlern oder auch den Journalisten. Die Räume atmeten Intellektualität ein und strahlten Charisma aus. Insofern nannten sie sich nicht zu Unrecht "die heilige Hallen des Intellekts". 

In all den Jahren präsentierte sich das Buch nicht als bloße Ware, die - ähnlich wie ein billiges Modeprodukt- in der nächsten Saison in virtuellen Secondhand-Shops für ein paar Cent verramscht wird, sondern als ein Gegenstand, den man nach der Lektüre respektvoll aufbewahrt, weil man seinen Wert zu schätzen weiß. 

Wenn die Flut kommt, wird selbst das Beste mitgerissen. In Flandern und in den Niederlanden weiß man das und baut hohe Dämme, damit dies nicht geschieht. 

Diesmal vermisste ich die, über die vielen Jahre zur Gewohnheit gewordene, intellektuelle Messeaura, die Oasen der Ruhe, die in Bücher versunkenen, lesenden Menschen, die mit ihren Händen ganz behutsam das Objekt ihrer Begierde erfühlten und dessen Inhalt mehr Aufmerksamkeit schenkten als der Gestaltung des Covers. 

Stattdessen sah ich eine Heerschar verwirrend junger Frauen mit Nerdbrillen wie auch ebenso junger Männer mit Siebenmeilenschritten die Hallen durchmessen. Dabei galten ihre Blicke mehr ihren Smartphones als ihrem Umfeld. Hörte ich sie reden, so fiel mir der hurtig über die Lippen strömende Sprachfluss spontan auf.  Die Stimmen muteten sonderbar kindlich an. Dieser Eindruck veränderte sich auch am zweiten Messetag nicht. 

Wenn die Wortflut kommt, zieht sich das Denken zurück. 

Was suchen diese jungen Leute auf einer Buchmesse, die die Welt pausenlos durch einen elektronischen Filter betrachten? Was suchten sie, wenn Begriffe wie "Haptik" bei ihnen nur ein müdes Schulterzucken auslösen? Woran haben diese Jungs und Mädels Freude? Ich weiß es mittlerweile: An Ausmalbüchern. 

Davon sah ich viele an den Messeständen und sah auch die verzückten Gesichter der visuell orientierten Computer- Generation. Die Verlage stellen sich darauf ein. Mantras, Mode, berühmte Gemälde u.a. mehr werden in Malbüchern dargestellt und können fein säuberlich ausgemalt werden. Nicht künstlerisches Schaffen soll erlernt werden, sondern Nachahmung.

Der Zeitgeist der Flut ist seit einiger Zeit sonderbar ostasiatisch.

Früher beschäftigte man Zweijährige mit solchen Ausmalarbeiten, damit sie nicht dauernd plapperten. Das gibt zu denken. Hat man heute ähnliches im Sinn?

Neben der Heerschar von schön geschminkten, ganz jungen Nerdbrillenträgerinnen, sah man als weiteres Messe- Faszinosum die Generation der lesenden Bloggerinnen und Blogger, die gut  zehn oder zwanzig Jahre älter waren. Für sie wurden massenweise "Werthers Echte" verteilt.  Dabei sollte man wissen, dass man die in den 70er und 80ern geborenen Leseratten bereits als Kinder an die Karamellen herangeführt hatte. Zuckerabhängige sind das ideale Klientel für Diabetes- und andere Gesundheitsratgeber, weiß jeder. So schließt sich auch hier der Kreis auf der Buchmesse.

Die vielen Stände mit Pestos und Pasta ließen sich gewiss durch die feilgebotenen Kochbücher rechtfertigen, die ihre Standflächen großteils reduziert hatten, gewiss nicht zuletzt, weil die Standgebühr blutig teuer sein soll.  Doch bei allem Verständnis: Gehören all diese Dinge tatsächlich an jenen Tagen in diese Hallen? 

Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2016 war Flandern und die Niederlande. Auf den Flyern und den Lesezeichen vor der Halle stand "Dies ist, was wir teilen". Auf zwei der dort ausgestellten, ins Deutsche übersetzte Bücher, freue ich mich schon jetzt: Es handelt sich dabei um "533 Tage" von Cees Nooteboom, bei Suhrkamp erschienen und um "Die zehntausend Dinge" von Maria Dermoût. 

Auf Leinwänden der Ehrengasthalle wurde das Meer filmisch simuliert. Wenn die Flut kam, verschwanden all die präsentierten Bücher im Wasser. 

"Dies ist, was wir teilen." Die Botschaft galt den Usern der sozialen Netzwerke, die dort alle Bücher kommunizieren können und so für deren Verbreitung sorgen. 

Die Verlage haben sich umorientiert. Sie wissen, dass die Marketing-Musik in den sozialen Netzwerken spielt, auch die Autoren wissen das. Nicht nur in der Modebranche sitzen die Blogger mittlerweile bei Veranstaltungen in den ersten Reihen und sind Journalisten gleichgestellt, weil sie diese im Bekanntheits- und Verbreitungsgrad in den neuen Medien oft übertreffen. Die Blogger verlinken in die sozialen Netzwerke und stimmen in den Chor der Verlage mit ein: "Dies ist, was wir teilen" 

Erfahrung und geistige Reife spielen mittlerweile eine sekundäre Rolle. Was zählt, sind die Anzahl der Besucher auf einzelnen Seiten. Das allerdings ist bedenklich, weil die Klicks und Seitenbesuche unendlich manipuliert werden können. 

Hoch schlägt die Flut an Klicks. Sie ist der Maßstab, ob Bücher ein Hype werden oder nicht, aber selten ist es deren Inhalt.

Links: Dr. Carolin Emcke,  Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels 2016
Was noch? Ich sah keine Flut von bekopftuchten Frauen auf der Buchmesse, noch nicht einmal an den Ständen, die muslimische Literatur offerierten, aber  ich sah immer wieder Polizisten, die zum Schutz aller Messeteilnehmer in den Hallen auf und ab gingen und demonstrierten, in welcher Zeit wir leben: In einer Zeit der Bilderflut, die je nachdem, wer sie steuert, Angst oder Freude auslöst. 

Der seelische Zustand entscheidet über die Wahl eines Buches. Zu viele Titel über Depressionen und Angst sind bedenklich. 

Befassen wir uns mit der Vielfalt des Lebens und all den wunderbaren Büchern, die diese zum Thema haben.  Dann entsteht ein neuer Zeitgeist, der  sich vielleicht auch wieder mehr an Inhalten orientiert und sich der Angst entledigt, die uns unfrei macht.


Helga König

2 Kommentare:

  1. Sehr gut beobachtet, liebe Helga, vielen Dank für den ausgezeichneten Bericht!

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  2. Danke für die Blumen, lieber Klaus. Ganz herzliche Grüße
    Helga.

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