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Samstag, 12. September 2015

#Helga_König: #Sonntagsgedanken 13.9.2015

Am 11.September twitterte ich einige Sentenzen des deutschen Philosophen, Soziologen und Musiktheoretikers Theodor W. Adorno (1903- 1969). Ich tat es deshalb, weil er an diesem Tag vor 112 Jahren geboren wurde und weil ich auf diese Weise an ihn erinnern wollte. 

Die Sentenz, die mir am wichtigsten erschien, war: "Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen, noch zu sollen." (Theodor W. Adorno) 

Als ich den Satz las, erinnerte ich mich an eine meiner Lehrerinnen am Gymnasium, die während ihres Studiums in den 1960 er Jahren Vorlesungen bei Adorno belegt hatte.  In ihr bebte der Geist der "Frankfurter Schule".  Deshalb war es nicht verwunderlich, dass sie mit uns gemeinsam "Minima Moralia" las und uns im Sinne ihres großen Vorbildes zu prägen versuchte.

Adorno wurde wie Goethe in Frankfurt am Main -  übrigens unter dem Sternzeichen Jungfrau - geboren, demnach ausgestattet mit logischem Denken und einem analytischen Verstand. Ähnlich wie der Dichterfürst stammte er aus großbürgerlichen Verhältnissen und ähnlich wie Goethes Ahnen wurden auch Adornos Vorfahren durch Weinhandel wohlhabend. Diese Parallelen sind bemerkenswert. 

Geboren wurde Adorno 1903 als Theodor Ludwig Wiesengrund. Sein Geburtsname deutet bereits darauf hin, dass der große Frankfurter Sohn väterlicherseits jüdischer Herkunft war. Allerdings wurde Adorno katholisch getauft und war sogar zeitweilig Ministrant. 

Hochbegabt übersprang der aufgeweckte Knabe zwei Schuljahre und machte als Klassenbester im Alter von 17 Jahren Abitur. Schon als Jugendlicher las Adorno Kant und Bloch und belegte 1921 an der Uni in Frankfurt die Studienfächer Philosophie, Musikwissenschaften, Soziologie und Psychologie. 

Goethe studiert etwa 150 Jahre früher stattdessen in Leipzig und später in Straßburg Rechtswissenschaften. Eventuell hätte auch er lieber Philosophie studiert. Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb Goethe weniger zielstrebig als Adorno seinem Studium nachging, was seiner intellektuellen Entwicklung allerdings keinen Abbruch tat. Im Gegenteil. 

Während Goethe lange Jahre der Selbstfindung vor sich hatte, lehrte Adorno bereits im Alter von 28 Jahren Philosophie an der Uni in Frankfurt. Im etwa gleichen Alter konnte Goethe als Geheimer Legationsrat in Weimar auf den Vorsitz zweier ständiger Kommissionen, der Wegebaukommission und der Kriegskommission, mit der Zuständigkeit für die Aushebung der Rekruten für die Weimarer Armee verweisen. Philosophie und alles Schöngeistige war damals eher ein Privatvergnügen des Weimarer Apolls. 

Adornos Lehrtätigkeit ging im Wintersemester 1933 zu Ende, denn die Nazis entzogen ihm die Befugnis zur akademischen Lehre aufgrund seiner jüdischen Abstammung väterlicherseits. 1938, im Alter von 35 Jahren  dann emigrierte Adorno gemeinsam mit seiner Frau  noch rechtzeitig aus Nazi-Deutschland in die USA. 

Goethe war 37 Jahre alt, als  er nach Italien aufbrach. Auf höchst unterschiedliche Weise sammelten die beiden Hochbegabten Auslandserfahrungen, die für die spätere Entwicklung  von Bedeutung waren.

Viele kennen Goethes diesbezügliche Reiseaufzeichnungen und auch seine wundervollen Gedichte aus jener Zeit, doch ob Adornos Werk "Minima Moralia- Reflexionen aus dem beschädigten Leben", seine im amerikanischen Exil verfasste philosophische Schrift, heute noch jedem geläufig ist, sei dahingestellt. 

"Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen" lässt sich ja auch leichter merken als die der Satz "Es gibt kein richtiges Leben im falschen",  vielleicht weil der erste Satz uns lächelnd lässt, während der zweite uns in Ernsthaftigkeit zwingt. 

"Minima Moralia"  beinhaltet 153 Aphorismen und kurze Essays über die Bedingungen des Menschseins (Conditio humana) unter kapitalistischen und faschistischen Verhältnissen. Neben der "Dialektik der Aufklärung" und der "Negativen Dialektik" zählt diese Publikation zu den philosophischen Hauptwerken Adornos. 

In meinem alten zerfledderten Buch "Minima Moralia"  ist ein Satz unterstrichen, über den wir mit unserer damaligen Lehrerin lange diskutierten: 

"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." 

Dieser Satz hat mich bis zum heutigen Tag begleitet und ist Ursache dafür, vieles zu hinterfragen. 

Ob sich Goethe und Adorno verstanden hätten? Gewiss. Sie hätten sicher viel intellektuelle Freude aneinander gehabt und sich keine Sekunde im Dialog gelangweilt. Weshalb? Weil beide Mut hatten sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Wer diesen Mut besitzt, lässt sich so schnell nicht dumm machen, von keinem, noch nicht einmal vom anderen  Geschlecht.

Helga König

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