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Sonntag, 15. April 2018

Helga König: Sonntagskolumne, 15.4. 2018.

"Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken." - Zitat von Hermann Hesse. 

Das Zitat von Hermann Hesse liest man immer mal wieder in den sozialen Medien. Diese subjektive Betrachtung Hesses wird zumeist vielfach angeklickt. Doch kann man sich dieser Meinung wirklich bedenkenlos anschließen? 

Das Adjektiv "arm" steht für: 1a ohne [genügend] Geld zum Leben, …1b. wenig habend, aufweisend oder hergebend, …2. unglücklich, bedauernswert, beklagenswert.*

Es ist anzunehmen, dass Hesse das Wort "arm" entweder im Sinne von "unglücklich" oder "bedauernswert" oder "beklagenswert" in seinem Satz verwendet hat. 

Einst lernte ich ein Haus mit einer großen Bibliothek kennen, dem es an schönen Teppichen und kostbaren Tapeten, auch Bildern an den Wänden nicht mangelte. Es war das freudloseste Haus, das ich je in meinem Leben erlebt habe, weil es immer nur ums Raffen und stets bloß um Lug und Betrug ging. Die Bücher waren letztlich nur Staffage. Es handelte  sich hierbei um Hunderte von seichten Romanen, mit denen die Sentimentalität der gefühlskalten Hausherrin bedient wurde, ferner um alte Bücher mit Nazi-Inhalt und um nicht aufgepackte, kostbare Bildbände, die Gäste zu Firmen-Jubiläen in die Villa anschleppten, weil sie von der Bibliothek, den Teppichen, den Bildern und von vielem anderen mehr geblendet waren. Keiner konnte sich vorstellen, dass dort beklagenswert intellektuelle Leere herrschte, weil tiefsinnige Gespräche bei Tisch per se unterbunden wurden und keiner die Bibliothek genauer unter die Lupe nahm. Das verbot allein schon die Contenance. 

Glücklich machen ja gute Bücher fast nie, doch sie schenken Erkenntnis, was oft schmerzhaft ist, weil man sich von alten Vorstellungen verabschieden muss. Loslassen ist für die meisten nicht einfach. Nicht grundlos gibt es eine Fülle von Ratgebern zu diesem Thema.

Bedauernswert sind alle Menschen, die aufgrund mangelnder Ausbildung oder Desinteresse vom Wissen ausgeschlossen sind und beklagenswert jene, die eine sehr gute Bildung haben, sich aber von abgefeimter Dummheit korrumpieren lassen, weil sie sich dadurch Vorteile versprechen. Ich kannte mal einen Pfarrer, der genau dies tat und so seinen Glauben verriet. 

Wer Bücher wirklich liebt, lebt mit ihnen, macht Notizen, steht auf diese Weise im Dialog mit den Autoren und gewinnt manchmal an wertvoller Erkenntnis hinzu. In Zeiten des Internets haben wir alle Gelegenheit, beinahe alles dort lesen und erfahren zu können, sodass Bücher fast nur noch des haptischen Reizes oder der liebevollen Erinnerung wegen eine Rolle in einem Haus spielen. 

Mein ganzes Leben hindurch habe ich Bücher gelesen, sammele sie, lebe mit ihnen und liebe sie. Doch bin ich dadurch glücklicher geworden? Eindeutig nein, wohl aber ein wenig erkenntnisreicher. Immerhin.

Je mehr mir durch meine tägliche Lektüre klar wird, wie diese Welt tickt, umso mehr erfasst mich der Ekel, dennoch höre ich nicht auf zu lesen.

Je mehr ich erkenne, dass aus der Geschichte nichts gelernt wird und angeblich gebildete Menschen nach wie vor irgendwelchen narzisstischen, verlogenen und kaltblütigen Neros oder Caligulas hinterher rennen, weil sie lieber seichte Romane verschlingen, anstelle sich mit Psychologie und Philosophie zu befassen und von daher realitätsblind sind oder weil sie sich mit menschenverachtender Ideologie zu dröhnen, anstelle ihren gesunden Menschenverstand zu benutzen, um so  mehr wird mir bewusst, dass nur  intensive Herzensbildung uns weiterbringt.  Leonardo da Vinci sagte einst: "Das wahre Wissen kommt immer aus dem Herzen". An dieser Tatsache hat sich bis heute nichts geändert.

Das Lesen von Büchern macht nur Sinn, wenn es dazu dient, humanistisch ausgereifter zu werden und entsprechend zu leben, d. h. den Menschenrechten zu dienen und  sich überall auf dieser Welt im Kleinen wie im Großen für sie stark zu machen. Die bildende Kunst, die Musik und die Poesie sind  hervorragende Mittel um das Herz zu weiten, damit menschenfreundliche Gedanken dort Platz  finden können. Wie notwendig das ist, sehen und erleben wir täglich.

Das Lesen von Büchern sollte niemals ein Mittel zur Flucht vor der Realität sein, sondern ein solches, sie positiv zu verändern.

Ein Haus ohne Bücher ist, sofern Güte und Herzenswärme dort zu finden sind, niemals immateriell arm. Es grenzt an Hochmut anderes zu behaupten.

Helga König

*Duden- arm

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