Impressum

Das Impressum finden Sie auf der Hauptseite von "Buch, Kultur und Lifestyle- Das Magazin für den anspruchsvollen Leser" wwww.rezensionen.co

Sonntag, 14. Januar 2024

Sonntagskolumne, 14.1.24 Helga König

Vor 4 Wochen lieh ich in der hiesigen Bücherei drei Bücher aus, die sich mit der Nazizeit der Verbandsgemeine, in der ich lebe, näher befassen. Ich hatte vor einigen Jahren ein Buch über die Pogromnacht in Gundersblum/ Rheinhessen gelesen und rezensiert. Dieser Ort liegt nur wenige Kilometer von Riedstadt, meinem jetzigen Wohnort, entfernt. Mir war klar, dass es auf der anderen Rheinseite während der NS- Zeit ähnlich brutal zuging. 

Als ich vor 3 Jahren an meinen Geburtsort zurückkehrte, entdeckte ich die ersten Stolpersteine, konnte aber zunächst nichts Näheres in Gesprächen mit älteren Menschen hierzu in Erfahrung bringen. Ich hatte den Eindruck, dass man mauerte. Irgendwann kam es zu einem Gespräch mit der jetzigen Inhaberin eines Hauses vor dem ein Stolperstein lag. Sie wusste nichts über die Jüdin Rosa Babette Oppenheimer, hatte nur gehört, dass sie einst aus ihrem Haus vertrieben wurde und nach Frankfurt umsiedeln musste, von wo aus es für sie ins Konzentrationslager weiterging.

Die jetzige Bewohnerin von Rosas Haus- keine Einheimische- finanzierte den Stolperstein für die in einem Konzentrationslager ermordete Frau. Für sie war dies eine Selbstverständlichkeit. Für den hiesigen Heimat- und Geschichtsverein war es das offenbar nicht. 

Rosa betrieb einst einen Textilwarenladen in ihrem Haus. Nach 1945 waren dort ein Schuhladen und später ein Geschenkartikelladen ansässig. Dass das Haus einst Rosa Babette Oppenheimer gehörte, wurde totgeschwiegen. Die Jüdin war 70 Jahre alt als man sie aus ihrem Haus jagte. Ihr verstorbener Gatte war Offizier im 1. Weltkrieg und Träger des Eisernen Kreuzes. Doch das zählte bei dem Nazis ja nicht. Rosa konnte sich nicht vorstellen, dass man sie bedrohen würde, las ich in einem der Bücher. Da hatte sie sich geirrt wie so viele. 

Auch die 11 jüdischen Geschäftsinhaber im Stadtteil Erfelden wurden von den Nazi- Machenschaften überrascht. Vor deren Geschäften patrouillierten ortsansässige SA-Leute schon 1933, damit keiner bei ihnen einkaufen konnte. Man wollte die jüdischen Geschäftsleute wirtschaftlich ruinieren. Das tat man in allen Stadtteilen von Riedstadt, auch in Wolfskehlen. 

Ich lese von brutalen NS-Schlägern, die in der sogenannten“ Hitlermühle“ lebten, einem Gebäude zwischen Wolfskehlen und Griesheim, das nach dem Krieg den Besitzer wechselte. Was mit den Schlägern geschah, konnte ich den Unterlagen nicht entnehmen. Wurden sie zur Rechenschaft gezogen?

Ich lese von den Synagogen in der Verbandsgemeinde, spreche mit einer Frau, die die einstige Synagoge in Wolfskehlen bewohnt. Eine Naturschützerin. Ihr Großvater hatte nach 1945 das Gebäude erworben. Damals war an eine Begegnungsstätte noch nicht zu denken. Es ging um Wohnraum. Die Naturschützerin berichtet, wer in der Pogromnacht das Mobiliar und die Thorarollen vor dem Haus verbrannt hat. Das wusste sie von Einheimischen, die mit dem Treiben des Nazipacks nicht einverstanden waren. 

Ich lese in der Dokumentation "Die Gemeinden Riedstadts im Faschismus" auch vom Widerstandskämpfer Peter Reuter aus Goddelau , der 6 Jahre und 9 Monate in Haft oder interniert war, nicht zuletzt im Konzentrationslager Buchenwald gedemütigt und misshandelt wurde. 

Ich lese über die Gräueltaten in Phillips Hospital, einem Krankenhaus zwischen Goddelau und Crumstadt und dem dortigen Euthanasieprogramm, schaue mir immer wieder Fotos an, die unzählige Menschen mit zum Hitlergruß erhobener Hand zeigen. In allen Gemeinden Riedstadts. Stramme Nazis, verblendet, ohne Gewissen. Ein enormer Verdrängungsprozess muss nach 1945 bei diesen Leuten stattgefunden haben.

Dann bin ich wieder im Hier und Jetzt und denke an den Rechtsradikalismus hierzulande, bin entsetzt über die Vertreibungspläne an ausländischen Mitbürgern, die in einem Geheimtreffen, an dem auch AfD- Vertreter teilgenommen haben sollen, vor wenigen Tagen diskutiert wurden. 

Was sich hier zusammenbraut, erinnert sehr an das, worüber ich heute geschrieben habe. Was geschieht, wenn die AfD die Mehrheit der Stimmen bei der nächsten Bundestagswahl  erhält? Unmöglich? Nichts ist unmöglich, wenn der Unmut gegenüber der Ampel  noch mehr zunimmt.

Der latente Faschismus hierzulande nimmt wieder Fahrt auf. Man muss ihn ausbremsen, solange es noch möglich ist. Aufklären ist angesagt! Ein Verbot der AfD fördert nur weitere Renitenz potentieller Wähler heraus. Denn sie wissen nicht, was sie tun...

Der Fremdenhass spitzt sich  hierzulande zu. Aus der Geschichte wurde nichts  gelernt. Leider!

Helga König

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen