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Sonntag, 14. April 2019

Helga König: Sonntagskolumne, 14.4.2019

Die winzige Schmuckreparaturwerkstatt hier vor Ort wird von einer Äthiopierin betrieben. Nur einige Stunden in der Woche hat sie den Laden geöffnet, bringt neue Lederarmbänder an Uhren an, repariert gekonnt gerissene Halsketten oder auch Armbänder. 

Diesen Laden besuchte ich letzten Freitag, weil das Uhrband meiner Mutter erneuert werden musste. Der Bruder der Äthiopierin half an besagtem Tag aus und so kam ich mit ihm ins Gespräch. Er sprach sehr gut Deutsch, das machte mich neugierig. 

Ich fragte ihn wie lange er schon hier lebe und was er früher in seiner Heimat gemacht habe, ob er ein Uhrmacher sei. Er berichtete, dass er vor der Wende in Russland Bauingenieurwesen studierte, jedoch während der Perestroika sein Studium abgebrochen habe und nach Berlin gegangen sei, weil er in Freiheit leben wollte und hoffte hier weiter studieren zu können. Daraus aber sei nichts geworden, denn er habe sich um seinen Broterwerb kümmern und erst einmal die deutsche Sprache erlernen müssen. All das sei nicht unproblematisch gewesen, weil zunächst keiner ihm half. Doch dann habe er eine Schreinerlehre machen können und in diesem Beruf lange gearbeitet bis er krank geworden sei.

In Hessen und in Berlin seien die Menschen stets fair mit ihm umgegangen. In Sachsen hingegen habe er weniger gute Erfahrungen gemacht und sich oft geärgert, weil man ihn aufgrund der Tatsache, dass er eine dunkle Hautfarbe habe, vorverurteilte, er im Zug stets seine Fahrkarte vorzeigen musste, während die weißen Fahrgäste das nicht brauchten. Das habe ihn gekränkt. Dass Ehrlichkeit keine Frage der Hautfarbe sei, scheine manchen Leuten offenbar nicht bewusst zu sein. 

Während er das neue Uhrband an der Uhr befestigte, meinte er, dass junge Menschen ja kaum noch Uhren tragen würden, weil sie die Zeit im Smartphone oder im Iphone checkten. Die meisten Kunden seiner Schwester kämen aus den hiesigen Altenwohnheimen. Nach seiner Ansicht waren Armbanduhren ein Auslaufmodell wie so vieles andere auch seit es das Internet gibt. Irgendwann in naher Zukunft würden die Maschinen alles übernehmen. Vielleicht sei ja auch der Mensch ein Auslaufmodell... 

Auf meinem Nachhauseweg dachte ich an die Änderungsschneiderei hier vor Ort. Sie wird von einer freundlichen Bulgarin betrieben, auch an den Schuster aus Marokko, den Konditor aus Syrien und andere sehr gute Handwerker  aus fremden Ländern mehr. All diese Menschen kommen aus Welten, die keine Wegwerfgesellschaften sind. Ihr handwerkliches Können lässt sie selbst schwierige Zeiten überstehen, weil sie sich zu helfen wissen. 

Wie sollen Menschen problematische Zeiten überleben, die noch nicht mal mehr wissen, wie man Kartoffeln oder Tomaten pflanzt oder ein paar Kräuter zieht? 

Beim türkischen Obst- und Gemüsehändler trifft man auf türkische, syrische und marokkanische Frauen, die noch wirklich gut kochen können und mit den vielen Gewürzen, die dort angeboten werden, tatsächlich fachgerecht umgehen können. 

All das macht die Überlebensfähigkeit aus, die in Wohlstandgesellschaften immer mehr verloren geht, zugunsten einer gefährlichen Bequemlichkeit, die im Grunde demonstriert, dass der Zenit dieser Gesellschaften überschritten ist. Auf die Gnade der Maschinen zu hoffen,  scheint mir töricht zu sein, denn Maschinen sind bekanntermaßen seelenlos. 

 Helga König

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