Meine Sonntagskolumne möchte ich diesmal einer Begebenheit widmen, die sich heute früh, sprich am Samstag, hier vor Ort zugetragen hat.
Auf dem Weg zum Bäcker sah ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine junge Frau bitterlich weinen. Sie hielt ein gefaltetes Papier in der Hand und versuchte zwei Passantinnen irgendetwas, was sie zutiefst bewegte, zu vermitteln. Aus der Gestik der Personen konnte ich schließen, dass sie die Frau, - ich hielt sie spontan vom Aussehen her für eine Roma-, nicht verstanden.
Kurz entschlossen, überquerte ich die Straße, weil ich hoffte, helfen zu können. Dort entnahm ich dem Papier, das die Frau mir entgegenhielt, dass es sich wohl bei ihr um eine Ukrainerin handelte. Sie sprach weder deutsch noch englisch, doch die Signale ihres Körpers offenbarten, dass sie maßlos verängstigt und verzweifelt war.
Auf dem Papier- eine Kopie eines Migrationsantrags- war das Passfoto eines Mannes zu sehen. Ich vermutete, dass es sich um ihren Vater handelte. Es war, wie ich wenig später erfuhr, allerdings das Konterfei ihres Ehemanns.
Die Frau deutete immer wieder Hilfe suchend auf das Foto, zog mich am Arm, um mich auf die andere Straßenseite mitzunehmen. Ich wusste, dass in dem Haus, das sie ansteuerte, ukrainische Flüchtlinge lebten.
In der Hoffnung dort jemand anzutreffen, der übersetzen konnte, klingelte ich. Vermutete, dass die junge Frau genau dies vielleicht erhoffte, aber selbst zu scheu war, aktiv zu werden. Doch die Familie, die dort im Spätsommer eingezogen war, wohnte hier nicht mehr.
Die Eingangstür war offen. Wir gingen die Treppe hoch. Dort standen im 1. Stock vier kleine Kinder, alle noch nicht schulpflichtig, mit weit aufgerissenen Augen, völlig verängstigt vor mir. Die Frau zeigte auf sich und sagte "Mama".
Mittels Gesten deutete ich ihr an, gleich wieder zu kommen und Hilfe zu holen. Samstag…, außer der Polizei konnte man heute vermutlich keinen erreichen...
Erneut überquerte ich die Straße, um das Ladenlokal der örtlichen Floristin und Gemüsehändlerin aufzusuchen, in der Hoffnung, dass man dort behilflich sein könne. Die Floristin hatte schon zwei Stunden zuvor die Polizei informiert, wie sie aufgeregt erklärte. Die Polizisten hatten dann ermittelt, dass der Ehemann der jungen Frau seit Freitagabend verschwunden war. Was mit dem Mann geschehen war, war bislang unklar.
Die hilfsbereite Ladenbesitzerin hatte die junge Frau und ihre Kinder mit Feldfrüchten versorgt. Ich überlegte, was die Kinder etwas beruhigen und ablenken könnte und holte beim Bäcker rasch etwas Schokolade. Die panische Verängstigung der Mutter hatte sich auf die Kinder übertragen. Hier konnte nur ein Psychologie helfen. Samstags allerdings leider nicht...
Wie auch immer, mehr vermochte man jetzt nicht tun, nur hoffen, dass die Polizei den Mann lebend irgendwo finden würde. Vom Aussehen her, kam die Familie aus dem Süden der Ukraine. Sie schienen noch nicht lange hier in Deutschland zu sein. Wer weiß, was sie dort bereits erlebt hatten, welche Kriegstraumata sie mit sich herumschleppten...
Eine Stunde später, nun war ich auf dem Weg zu den hiesigen Einkaufsmärkten, begegnete mit ein Polizeiauto, das ich anhielt, um den Vorgang kurz zu schildern. Die Polizisten sagten mir, dass sie noch immer auf der Suche nach dem Mann waren.
Ob sie ihn zwischenzeitlich gefunden haben, entzieht sich meiner Kenntnis.
Gut, die Frau und die Kinder haben ein Dach über dem Kopf. Wenigstens das. Aber sie brauchen seelischen Beistand. Bleibt zu hoffen, dass sich eine ukrainisch sprechende Person eingefunden hat, um mit der völlig überforderten Frau zu reden.
Was macht dieser unsägliche Krieg mit den Menschen, die in ein fremdes Land fliehen, weil ihre Wohnungen zerbombt sind und sie in Luftschutzkellern täglich um ihr Leben bangen mussten? Wieviel Leid haben sie gesehen?
Was ist mit dem Ehemann der jungen Frau? Wie ist es möglich, dass er mit seiner Familie das Land verlassen durfte? Hat er eine Kriegsverletzung? Warum ist er verschwunden?
Wie viele ukrainische Familien müssen noch fliehen mit jedem Tag, den dieser Krieg länger andauert und wie groß wird der Hass noch werden bei all jenen, die durch Putin leiden müssen?
Was kann man tun, dass dieser Hass gegen Putin und seine Schergen sich nicht auch auf das gesamte russische Volk ausweitet?
Wichtig scheint mir, russische Künstler nach wie vor hierzulande auftreten zu lassen, auch wenn sie sich nicht eindeutig gegen das totalitäre Regime Putins positionieren. Hier gilt es, dem russischen Volk zu zeigen, dass man ihre gefeierten Künstler genau wie sie selbst nicht ablehnt, sondern einzig und alleine Putin und seine Mörderbande. Diese sind nicht das russische Volk, sondern der Abschaum, der die russische Seele zutiefst beleidigt.
Ein Neuanfang nach Putins Ära ist selbstverständlich möglich für alle, die nicht gemordet und gebrandschatzt oder sich ansonsten die Finger durch diesen unsäglichen Krieg verdreckt haben.
Die Tür muss offen bleiben, weil sie eine Alternative verkörpert, die notwendig ist. Es gibt auch ein Leben nach Putin. Ein Leben, in dem nicht nur Künstler wirklich frei ihrem Tun nachgehen können. Das gilt es immer wieder zu verdeutlichen.
Helga König
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