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Montag, 16. Januar 2023

Sonntagskolumne Helga König, 16.01.23

"Am 16. Januar 1972 war es endlich so weit: Innenminister Genscher erklärte, dass der Gebrauch des Wortes "Fräulein" in den Bundesbehörden zu unterlassen sei; jede erwachsene weibliche Person sollte nun als "Frau" tituliert werden und ihr Personenstand keine Rolle mehr spielen!" H.P. @Peine01, Tweet vom 16.1.2023

Wie fühlte sich eine Frau zu Beginn der 1970er Jahre, die mit Fräulein angesprochen wurde? Man lebte damals zu Ende der Minirockzeit. Nicht nur der Rocksaum, sondern  auch viele alte Zöpfe waren in den Vorjahren gerade zuhauf abgeschnitten worden, während eine unverheiratete Frau immer noch als "Fräulein" angesprochen wurde. So schien es fast wie ein Wunder, dass plötzlich auch das "Fräulein" unter den Tisch fiel, weil man den Begriff nun nicht nur als antiquiert, sondern auch als  diskriminierend einstufte. Dies empfanden nicht nur die meisten Frauen, sondern auch einige fortschrittliche Männer so. 

Als Schülerin hatte ich in der 5. Klasse eine Mathematiklehrerin, die nicht verheiratet war. Sie war um die 60 und stets schwarz gekleidet, so als trauere sie um jemand. Wir mussten sie mit Fräulein ansprechen, nahmen das unreflektiert hin und das, obgleich alte Fräuleins in unserem Umfeld eine Seltenheit waren. 

Unverheiratet sein galt für viele Frauen lange als Makel. Es verunsicherte sie, weil sie ahnten, dass man sie als minderwertig einstufte. Ob unverheiratete, ältere Frauen mit guter Ausbildung wirklich entspannter mit ihrer Ehelosigkeit umgegangen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Sie hatten ja viele Probleme zu lösen. Bei der Wohnungssuche fing das schon an... Auf dem Heiratsmarkt galten ältere Fräuleins als Ladenhüter, egal, wie gebildet oder beruflich erfolgreich sie waren, sie blieben Außenseiterinnen. "Lieber eine junge Witwe als ein älteres Fräulein!" So das Credo vieler, sich lachend die Schenkel klopfenden Männer. Offenbar glaubten diese Männer, dass die Anrede über die Jahre hinweg Frauen schrullig, eigensinnig oder gar vertrocknet werden ließ. 

Wenn ein Fräulein schwanger wurde und nicht in den Hafen der Ehe einschwebte, hatte sie besonders schlechte Karten, denn ein Fräulein war natürlich kinderlos, ja sogar jungfräulich gedacht. Insofern hatte eine unverheiratete Mutter, den Begriff "Fräulein" entweiht, was verächtliche Blicke nach sich zog, nicht nur von Männern. So heirateten viele ungewollt Schwangere nur deshalb, um den verächtlichen Blicken zu entkommen.

Als 1972 aus dem Fräulein eine Frau wurde, durfte sie allerdings bis 1977 in der Bundesrepublik Deutschland immer noch nicht ohne Zustimmung des Ehemannes berufstätig sein. Sicherlich ist die ein oder andere dann doch lieber unverheiratet geblieben, jetzt, wo man sie nicht mehr so einfach als eheunwillig und freiheitsliebend enttarnen konnte und damit der Spießrutenlauf ein Ende hatte. 

Helga König

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