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Sonntag, 28. Juni 2020

Sonntagskolumne, Helga König, 28.6.2020

"Wäre ein Leben ohne Kultur langfristig lebenswert? Was ist Kultur überhaupt? Seit es den Menschen gibt, hat er sich sprachlich, künstlerisch und musisch auf seine Umwelt bezogen. Braucht man also Auseinandersetzung mit Kunst, Musik, Theater, Literatur & Film auch als Gesellschaft?" 

Diese Fragen twitterte die Künstlerin Ana Schönsteiner letzte Woche. 

Wikipedia lässt seine Leser wissen: "Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbstgestaltend hervorbringt – im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. 

Nach der weiter gefassten Definition sind Kulturleistungen alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials, beispielsweise in Technik, Landwirtschaft, Essenszubereitung oder bildender Kunst, aber auch geistige Gebilde (etwa die cultura animi „Geisteskultur“ bei Cicero) oder Subkulturen“[1] wie Musik, Sprachen, Moral, Religion, Recht, Wirtschaft und Wissenschaften."*

Wäre ein Leben ohne all dies langfristig lebenswert? Offenbar nicht, denn ansonsten hätte der Mensch seine kulturellen Leistungen im Laufe der Geschichte nicht verfeinert bzw. verbessert, sondern hätte sich stattdessen vorsteinzeitmäßig mit dem, was er in der Natur vorfand, phlegmatisch zufrieden gegeben. 

Schon früh begannen sich unsere Urahnen künstlerisch zu betätigten. Höhlenmalereien und kleine Figuren waren die ersten kulturellen, künstlerischen Ergebnisse dieser Art. Ob man sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Werken Einzelner in der Gesellschaft auseinandergesetzt hat, lässt sich nur vermuten. Doch die Tatsache, dass die künstlerischen Produkte zumindest handwerklich immer perfekter wurden, deutet darauf hin, dass eine solche Auseinandersetzung schon sehr früh stattfand. 

Die Renaissance, lange Zeit danach, war vermutlich der Zenit in der kulturellen Weiterentwicklung der Malerei, auch der Bildhauerei, während es in der Barockzeit, um den Zenit in der Religion aber auch um die kulturelle Weiterentwicklung der Essenszubereitung ging. Die Kultivierung der leiblichen Genüsse in Zeiten der Glaubenskriege beruhte  gewiss auf dem Bewusstsein,  immer ganz nah dem Tode zu leben. Viele Gemälde aus jenen Tagen, deren Motive opulent gedeckte Tische zeigen, verfügen über einen Totenschädel, um daran zu erinnern, wie vergänglich alles ist. 

Es gab eine Zeit, in der die Poesie, ich denke an Friedrich Schiller  und sein Gedicht "An die Freude", auf dem Zenit stand und eine andere, in der hervorragende Prosa alles andere überstrahlte. 

Weshalb sich der Fokus vieler, in einem bestimmtem Zeitfenster auf die Vervollkommnung einer ganz speziellen kulturellen Leistung legte, hängt wohl damit zusammen, dass bestimmte gesellschaftliche Bedingungen, die Interessen Einzelner gezielt beeinflussen. 

Goethe, Schiller, Beethoven, die ganz Großen im Klassizismus, haben kein ebenbürtiges Pendant in der Malerei in ihrer Zeit. Vielleicht war die Gesellschaft  überfordert mit all dem, womit sie sich  durch diese Genies kulturell auseinanderzusetzen hatte.

Die Klaviermusik der Romantik dann, durch die Kompositionen von Franz Schubert zum Höhepunkt gebracht, lässt die unsäglichen Kriege Napoleons vergessen. 

Heinrich Heine, der Dichter der Romantik, überwand diese und wurde zum kritischsten, politisch engagierten Kopf seiner Zeit. Ach ja, Georg Büchner… Er konnte nur im Vormärz seine kulturellen Leistungen entwickeln. Kein Zufall, dass er so früh verstarb...

Die industrielle Revolution brachte unendlich viele technisch- kulturelle Leistungen hervor. Musik, Malerei und Literatur waren nun ein fast untergeordnete Themen. Doch dann kam das Jahrhundert der Sprache und mit ihr die Dauermanipulation durch sie.  So gab es Thomas Mann und sein Werk "Der Tod in Venedig"  aber es gab auch  Goebbels und seine Rede  "Wollt ihr den totalen Krieg?".

Eine bemerkenswerte kulturelle Leistung war die Entwicklung tragbarer Mode für die Damenwelt nach dem 1. Weltkrieg und dem Untergang der Ständegesellschaft. Deren Untergang  führte zu einem erneuten Schub in der Kunst, deren Fesseln leider nur bis 1933 gelöst waren. 

Kulturelle Entwicklung, deren Voraussetzung hohe Kreativität ist, benötigt Freiheit. Ohne diese verkümmert sie.

Rockbands der späten 1960er und frühen 1970er Jahre befruchteten sich gegenseitig und mit ihren Texten eine ganze Generation junger Menschen, die gegen die weißgewaschenen Nazis rebellierten, die immer noch allerorten für Unheil sorgten, ganz besonders in den eigenen Familien, wo sie ihren Despotismus oft bis zu ihrem Tode auslebten. 

Mit dem Neoliberalismus kam die aalglatte Fläche, kam Jeff Koons, kam der Höhepunkt des Egoismus und Narzissmus- dies allerdings sind keine kulturellen Leistungen, sondern ihr Gegenteil. NIcht zu vergessen mit dem Neoliberalismus kam das Aus für die ethische Weiterentwicklung der Gesellschaft. 

Wohin das führte, sehen wir heute in Zeiten des Klimawandels. Corona  allerdings könnte der Antrieb für einen kulturellen Schub im Bereich der Ethik sein. Überdenken, was wirklich notwendig ist, der Vermüllung Einhalt zu gebieten, auch im Netz, darum geht es. Nicht weitermachen wie bisher! Ethik zum gesellschaftlichen Thema  Nr. 1 machen! Das Zeitfenster  für all das ist derzeit offen...

Helga König

* Wikipedia: Kultur

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