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Sonntag, 10. Februar 2019

Sonntagskolumne Helga König, 10.2.2019

"Unfairness im Umgang mit Mitmenschen ist an der Tagesordnung, es möchte aber niemand auf seine Unfairness angesprochen werden. Gerade deshalb sollten wir das viel öfter tun. #Zivilcourage" (#Thomas_Knorra). 

Als ich ein Kind war, besaßen hierzulande Erziehungsberechtigte noch das #Züchtigungsrecht an den ihnen Anvertrauten. Seit dem  Jahre 2000 gilt die Körperstrafe an Kindern hierzulande gottlob als barbarisches Relikt vergangener Zeiten. Kinder haben jetzt das Recht auf eine #gewaltfreie_Erziehung. Leider scheint sich dies noch immer nicht überall herumgesprochen zu haben.

Dass das Züchtigungsrecht abgeschafft wurde, hängt mit der #Zivilcourage von all jenen Menschen zusammen, die sich öffentlich gegen den unsäglichen Prügelparagraphen gestellt haben. 

Ich selbst war als Vierjährige nur ein paar Tage im Kindergarten und weigerte mich fortan, diesen horriblen Ort nochmals aufzusuchen. Der Grund war eine sehr schmerzhafte Ohrfeige. Eine Kindergartenhelferin in einem evangelischen Kindergarten  schlug auf alle Kinder hemmungslos ein, die sich weigerten, nachmittags zu schlafen, weil sie lieber mit anderen Kindern spielen wollten. Aus heutiger Sicht war dies eine Ungeheuerlichkeit. Ich empfand es damals schon als ungeheuerlich.

Kinder sollten durch Prügel in Angst und Schrecken versetzt werden, damit sie ohne aufzumucken "gehorchten". Was dabei herauskam, waren nicht selten Duckmäuser oder Menschen, die zu lügen anfingen und denen später kein Mensch mehr trauen konnte. 

Dass die Kindergartenhelferin einen nationalsozialistischen Hintergrund hatte, erfuhr ich erst viele Jahre später. Gewundert habe ich mich darüber nicht.

Auch in der Grundschule erlebte ich nochmals eine Gewaltattacke seitens einer Lehrerin (vormals Mitglied der NSDAP, wie ich vor kurzem erst erfuhr). Sie schlug auf meine Tischnachbarin und mich ein, weil wir miteinander leise sprachen- aus Langeweile übrigens, da wir mit unseren Übungen schon längst fertig waren. Das war im 2. Schuljahr. 

Ich wurde Zeugin wie meine einst beste Freundin (damals 5 Jahre alt) von ihrer Mutter (ebenfalls mit Nazihintergrund) mit einem Handbesen verprügelt wurde, weil sie das Frühstücksgeschirr auf ihr Geheiß nicht gespült hatte, sondern wir stattdessen mit den Legosteinchen Häuser bauten. Natürlich erzählte ich, was ich erlebt hatte, völlig aufgelöst meinen Eltern. Ergebnis: Ich durfte wochenlang die Freundin nicht mehr besuchen, weil mein Vater nicht wollte, dass ich weitere Szenen dieser Art mit an sah. 

Keiner konnte etwas gegen diese Gewalttätigen ausrichten, denn prügeln galt - wie schon erwähnt-    gesetzlich als erlaubt. 

Interessanterweise hatte das verprügelte Mädchen die Prügelarien vergessen als ich sie einige Jahrzehnte später, kurz vor ihrem frühen Ableben, nochmals traf. Dieses Phänomen fiel mir auch bei anderen schwer Gezüchtigten auf. Sie hatten erstaunlicherweise alles vollkommen verdrängt, sich also damit nicht auseinandergesetzt. Allerdings hatten die einen noch als Erwachsene im fortgeschrittenen Alter Stimmen wie Kinder oder eine kindliche Schrift, die anderen starben extrem jung, oft depressiv und besonders schwer Gezüchtigte wurden zu krassen Lügnern und Betrügern, zu Menschen also, die andere nicht wert zu schätzen wussten. 

Jungs wurden von ihren Vätern, speziell jenen Vätern, die in Russland zuvor als Soldaten die Zivilbevölkerung abgeschlachtet hatten, brutal misshandelt, weil diese Männer durch den Krieg restlos verroht waren. Im Grunde war nahezu ganz Deutschland brutalisiert. Eine veränderte Geisteshaltung trat erst Ende 1960er Jahre allmählich ein. Meine Skepsis  gegenüber zwei vorangegangenen Generationen in Deutschland ist von daher bis heute geblieben.

Während meiner Studienzeit unterrichtete ich oft Nachhilfeschüler, die noch Ende der 1970er Jahren  mit Idiotenlehrern zu tun hatten, für die Pädagogik ein Fremdwort war. Noch immer wurden Kinder auf die Eselsbank gesetzt, wenn sie nicht "spurten", noch immer wagten sich nur wenige Eltern gegen solche Lehrkräfte  aufzustehen.

Weshalb ich davon spreche? Weil Zivilcourage nicht von Ungefähr kommt. Sie setzt eine Kindheit und Jugend voraus, in der der Mensch sich frei entwickeln kann, in der er lernt, Gut und Böse zu unterscheiden. Sie setzt einen emanzipierten Menschen voraus, der die sogenannte Obrigkeit und ihr Tun hinterfragt und vor allem mutig ist.

Wie soll ein Kind Fairness und Zivilcourage erlernen, wenn mit ihm immerfort unfair umgegangen wird, kein Erwachsener ihm beisteht und in seinem Beisein keiner unfair Handelnde zur Rede stellt? 

Zu hinterfragen, ob ein eigenes Tun fair und damit gerecht ist, setzt Selbstkritik voraus. Je narzisstischer der #Zeitgeist ist, umso weniger ist diese Selbstkritik allerdings zu erwarten. 

Wir leben erneut in einer sehr empathielosen Zeit. Der faire Umgang mit Kindern und alten Menschen lässt mehr als zu wünschen übrig. Heute geht es nicht mehr um Schläge, sondern um emotionale Verwahrlosung aufgrund von extremer Ichsucht. Kein guter Zeitgeist, denn er ist der Nährboden für die Rechtsradikalen. 

Helga König

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