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Samstag, 10. Februar 2018

Sonntagskolumne Helga König, 11.02.2018

Am vergangenen Samstag wurde bei einem nächtlichen Faschingsumzug in Eppingen (Kreis Heilbronn) in Baden Württemberg eine 18 jährige Frau von Zuschauern  maskierten Karnevalisten, die an dem Umzug teilgenommen haben, übergeben. Ob dies mit einem scherzhaft gemeinten Auftrag verbunden war oder einfach kommentarlos geschah, konnte man bisherigen Presseberichten nicht entnehmen. Die maskierten Karnevalisten- eine 20 köpfige Narrengruppe-, denen die Frau ausgeliefert wurde, hatten einen holzbefeuerten "Hexenkessel" mitgebracht, der angeblich zum Faschingsbrauchtum der alemannischen Fastnacht dazugehört. 

Genau in diesen brodelnden Kessel wurde die junge Frau von den verrohten Karnevalisten offenbar hineingestellt, was zu schweren Verletzungen ihrer Beine geführt hat. Unverständlich ist, dass ein solcher Kessel als Utensil des Umzugs von der zuständigen Behörde überhaupt genehmigt wurde. Noch weniger zu verstehen ist, dass Zuschauer die junge Frau der Gefahr aussetzten, mit dem kochend heißen Wasser in Berührung zu kommen und mehr als schockierend ist die Tatsache, dass maskierte Personen das Mädchen diesem siedenden Wasser ausgesetzt haben, wo doch jedes Kind  bereits weiß, was dann geschieht. 

Über diese unsägliche Brutalität muss jetzt in Talk-Shows gesprochen werden, denn sie ist mittlerweile in unserer Ellenbogengesellschaft ein erschreckendes Phänomen, das allerorten in seelischer oder körperlicher Quälerei seinen Ausdruck findet, vermutlich weil Mitgefühl immer mehr verkümmert. 

Dass es angeblich keine Bilder von dem Vorfall gibt, wundert nicht. Wie der Presse zu entnehmen ist, wurde die schreiende Frau von den brutalen Karnevalisten auf der Straße abgelegt und sich selbst überlassen. Zu behaupten "Ich denke nicht, dass irgendjemand die junge Frau mit Absicht in den Kessel mit heißem Wasser gestellt hat", wie lt. Stuttgarter Nachrichten der Leiter des Eppinger Polizeireviers es tat, ist eine weitere Ungeheuerlichkeit. 

Ohne es zu wollen, setzt keiner einen anderen  siedendem Wasser aus, das dazu noch befeuert wird. Hier wurde keinem alemannischem Karnevalsbrauch gefrönt, sondern es wurde spontan ein perverses mittelalterliches Spektakel aufgeführt: als Hexen verkleidete Hexenbrenner folterten eine junge Frau, ganz so wie es einst in Deutschland im Rahmen von Hunderttausenden von Hexenprozessen geschah und damit  zum grausamen Alltag eines unaufgeklärten Volkes gehörte.

Nach mittelalterlichen Vorstellungen stellten sogenannte "Hexen", das waren Frauen, denen man unterstellte, mit dem Teufel im Bunde zu sein, in "Hexenkesseln" angeblich Zaubertränke her, mittels denen sie viel Unheil anrichteten. Man ordnete besagten Frauen überirdische Kräfte zu,  projizierte eigene Schlechtigkeit auf die Angeprangerten, verleumdete, folterte oder tötete sie letztlich aus Sexualangst, Neid oder Missgunst. 

Der "Hexenkessel" in Eppingen wurde  m.E. zur spontanen Folter einer jungen Frau missbraucht, weil die Täter und auch die Zuschauer, die das Mädchen den als "Hexen" verkleideten Karnevalisten auslieferten, offenbar  ad hoc etwas auslebten,  was sich in unserem kollektiven Bewusstsein tief eingegraben hat: der unglaublich abgründige Hexenwahn in Deutschland . 

Eine junge Frau wird vom Volk den Hexenbrennern übergeben und diese verrichten ihre Arbeit, ganz so wie in der  anfänglichen Neuzeit, als es Hunderttausende von Hexenprozessen gab. Diese "Arbeit" hieß  damals zunächst Folter. Man kann im Internet viel über die Tortur lesen, der damals die als  Hexen bezichtigten Frauen ausgesetzt waren. Die einzelnen Methoden werde ich an dieser Stelle nicht auflisten. Folter mit kochenden Wasser gehörte nachweisbar dazu, wie die Dokumente über Hexenprozesse im Amt Rothenburg  im Bistum Verden verdeutlichen. 

Es gibt alte Bräuche, die für aufgeklärte Menschen tabu sein sollten. Dazu gehört  u.a. der Hexenkessel in der alemannischen Fastnacht, die Beschneidung von Mädchen in Afrika und die Steinigung von Ehebrecherinnen im Iran. 

Für die Täter von Eppingen gibt es keine Exkulpation. Schwere Körperverletzung ist kein Spaß und die Gaffer, die möglicherweise Fotos gemacht aber verschwinden  haben lassen, um nicht wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht zu kommen, sollten Manns genug sein, die  Bilder der Polizei zukommen zu lassen, damit der Tathergang visuell nachvollzogen werden kann. 

Die spontane Tortur des Mädchen von Eppingen  sollte  uns alle innehalten lassen und wachrütteln: Mehr Mitgefühl und weniger Gaffertum kann solche Geschehnisse verhindern. Je fremder der Mensch dem Menschen wird und das ist das Grundübel der narzisstischen Gesellschaft, um so weniger spürt er den Schmerz des anderen, um so weniger hört er dessen Schreie.

Zu behaupten, "Hexen" hätten das Mädchen dem siedend heißen Wasser ausgesetzt, ist eine  Verdrehung von Tatsachen. Es waren üble Zeitgenossen, die durch ihre Tat,  sich an dem Leid des Mädchens und all der Frauen, die als Hexen jemals gefoltert wurden, geweidet haben. 

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für Ihren Kommentar, Frau König. Zwar bin ich kein Jurist, aber für mich grenzt das schon an versuchten Totschlag.
    Noch etwas Grundsätzliches zu "Hexen". Ein großer Teil von ihnen, die im Mittelalter ermordet wurden, waren als kräuterkundige Heilerinnen und Hebammen (fast schon Naturärztinnen) oft auch unliebsame Konkurrenz für Priester, die Kranke lieber "gesundbeteten".
    (Herbert W. Raab)

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