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Sonntag, 4. September 2016

Helga König: Sonntagsgedanken, 4.9.2016

"Solange man nicht über eine Sache redet, hat sich diese nie begeben. Erst durch das Aussprechen gewinnen die Dinge an Wirklichkeit." (Oscar Wilde, Zeit ist Geldverschwendung, S. 86) 

Dieser Sentenz von Oscar Wilde möchte ich entschieden widersprechen. Immer wieder erlebte ich in meinem Leben Menschen, die unliebsame Realitäten unter den Teppich zu kehren versuchten und auf diese Weise für viel Unheil sorgten. 

Ich weiß von einem Mann und einer Frau, die alles daran setzten, dass ihre Kinder nicht erfuhren, dass ihr Großvater ein Nazi-Verbrecher war, stattdessen schwärmten sie von dessen beruflichem Aufstieg, seinem großen Haus, das er besaß und seinen Luxusreisen, die er machte. Dass er ein strammes Parteimitglied war, der keine Probleme hatte, 500 Zwangsarbeiter auszubeuten und einen Menschen nachweislich ins KZ zu schaffen, wurde verschwiegen, auch weiß bis heute keiner, wo dieser  Peiniger die ersten fünf Jahre nach dem Krieg verbrachte. Ich vermute im Knast. 

Zwei seiner Enkelsöhne erbten seine kriminelle Energie, seine Kaltschnäuzigkeit und auch in der nächsten Generation ist bei einem der Urenkel das Genmaterial unverkennbar auf Größenwahn, Raffsucht und Regelbruch ausgelegt. Die verschwiegene Wirklichkeit war die Hauptursache, dass sich ein Geschwür an Schlechtigkeit in dieser Familie ausbreiten konnte und sie am Ende auseinander brechen ließ. Hätte man sich früh mit der Wahrheit auseinandergesetzt, hätte viel Leid verhindert werden können. 

Erlebt habe ich auch eine äußerst verlogene Frau, die die Vaterschaft eines Kindes, das das Ergebnis eines One-Night-Stands war, dem Sohn eines sehr wohlhabenden Mannes andichtete, um in den Genuss einen gut gemachten Bettes zu kommen. Jahre nach der Eheschließung sickerte die Wahrheit durch, wurde aber von den vermeintlichen Großeltern tabuisiert und sorgte für unendliches Unglück, denn die Lüge hatte Argwohn, Empörung und Hass aller zur Folge, die das Theater um den zur Unehrlichkeit erzogenen Nennenkel nicht ertragen konnten. 

Gerade neulich berichtete mir ein verheirateter Mann von seiner jahrelangen Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau. Diese Beziehung existierte aus Rücksicht auf alle Beteiligten lange Zeit öffentlich nicht. Das Leben der Liebenden geriet letztlich aus den Fugen, weil nicht sein sollte, was faktisch war. Die Frau starb und der Mann erlebte im Berufsleben ungeahnte Einbrüche. 

Wer sensibel ist, erspürt die Wirklichkeit, auch wenn sie verschwiegen wird, wird argwöhnisch, verliert das Vertrauen. 

Alles, was wir  selbst verschweigen, aus Rücksicht auf andere oder um Nachteile zu vermeiden, lebt in uns fort, zersetzt uns, macht krank. Das sollten wir bedenken. 

Hinter dem schönen Schein verbirgt sich zumeist ein Abgrund, so meine Erfahrung. Wer viel verschweigt, verändert im Laufe des Lebens seinen Gesichtsausdruck. Die einen wirken verschlossen oder gar ablehnend, die anderen verschlagen oder falsch. Licht ist dort, wo es um schönen Schein geht, nirgendwo erkennbar, auch wenn  dieses  krampfhaft vorgegaukelt wird. 

Helga König

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